Niklaus Schnider hat ein Anbaugerät entwickelt, das die Biodiversität schont und am nur 2,20 m schlanken Unimog U435 überall durchkommt. Denn in Böschungen tummeln sich Insekten und so manches Kleingetier.
Auf den ersten Blick sieht der Unimog U435 nicht wie ein Fahrzeug aus, das Insekten und Kleinlebewesen schont: Mit 7,7 l Hubraum und 354 PS unter der Motorhaube wirkt das 3 m hohe und 7 t schwere Fahrzeug eher wie ein Kraftprotz, dem sich zum Beispiel Schnecken in einer Strassenböschung besser nicht in den Weg stellen.
Die Frontzapfwelle des Unimog treibt einen Böschungsmäher an. Und dieser Böschungsmäher schont die Biodiversität. Das gesamte Strassennetz der Schweiz ist 85'000 km lang, dazu kommen 5’317 km Eisenbahnnetz. Strasse und Schienen haben vielerorts Böschungen. Diese schräg abfallenden Seitenflächen sind ein geotechnisches und sicherheitsrelevantes Element. Böschungen fangen bei einem Autounfall das Fahrzeug sanfter auf als Mauern, sie verteilen den Druck von Strasse und Schienenbett besser auf den Boden, und sie leiten Regen- sowie Schmelzwasser ab.
Und was oft vergessen geht: Böschungen bieten einen idealen Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten.
Zielkonflikt: Böschungspflege und Biodiversität
Zur Pflege dieser Böschungen werden heute meist Mäh-Mulch-Maschinen eingesetzt. Diese schneiden mit 5 bis 15 km/h die Böschungen ab und zerkleinern das Mähgut. Das gemähte Pflanzenmaterial könnte zu einer Biogasanlage oder Kehrichtverbrennung transportiert werden. Das kostet aber mehr, als wenn man es liegen lässt.
Deshalb wird das Mähgut während dem Mähen zerkleinert und hinter dem Mulcher ausgeworfen.
Das liegen gebliebene Mähgut reichert die Böschungen mit Nährstoffen an. Was besser tönt, als es ist: Viele Böschungen sind Magerwiesen, auf deren nährstoffarmen Böden Pflanzenarten wachsen, die auf den intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen eher selten sind.
Böschungspflege und Biodiversität schaffen einen schier unlösbaren Zielkonflikt:
● Wenn man die Böschungen mit Mäh-Mulch-Maschinen mäht, zerstört man die Magerwiesen mit ihrer Tier- und Pflanzenwelt.
● Wenn man die Böschungen nicht mäht, wachsen sie mit Büschen und Bäumen zu. Und das würde den Lebensraum Magerwiese für spezialisierte Pflanzen, Insekten und Kleinlebewesen auch zerstören und ist ausserdem eine Gefahr für die Verkehrssicherheit.
Innovativer Mähbalken bringt Lösungen
«Es muss für dieses Problem eine technische Lösung geben», sagte sich Niklaus Schnider, «Maschinen mit Schneidwerken, welche die bodennahen Tiere und Pflanzen schonen.» Der Key Account Manager von Unimog und gelernte Landmaschinenmechaniker machte sich an die Arbeit.
Unterstützung holte sich Niklaus Schnider bei der Firma Wepfer in Andelfingen (ZH). Hans Wepfer hat schon 2020 ein Mähwerk mit dem schnittigen Namen «Swissblade» entwickelt. Dieses unterscheidet sich stark von Kreiselmähern oder Mulchern:
● «Swissblade» bewegt zwei übereinander liegende Messerbalken horizontal hin und her. Seine Klingen schneiden die Pflanzen schonend ab und verletzen weniger Insekten und Kleinlebewesen, weil die Schnitthöhe besser angepasst werden kann.
● Herkömmliche Mulcher arbeiten mit rotierenden Klingen oder Schlegeln, die das Gras durch ihre Drehbewegung abschlagen. Diese rotierenden Mulcher sind zwar schneller, sie zerhacken aber nicht nur das Gras, sondern auch Insekten und Kleinlebewesen.
Beim Mähbalken von Wepfer sind die Messerrücken und Messerklingen aus vollständig gehärtetem Stahl in einem Stück gefertigt. Da gibt es keine Nieten, welche erfahrungsgemäss die Schwachstelle eines Mähbalkens sind. Der Mähbalken lässt sich sogar biegen und nimmt danach wieder die ursprüngliche Form an.Durch die konkave Form der Messer kann das Pflanzenmaterial nicht nach vorn wegrutschen, und die Messer müssen weniger oft geschliffen werden.
Böschungsmäher konstruiert
Niklaus Schnider verbaut diesen Mähbalken in ein Anbaugerät, das perfekt auf seinen Unimog U435 abgestimmt ist. Das Universal-Motor-Gerät – so der vollständige Name – ist mit nur 2,20 m Breite schlank und rank. Mit Allradlenkung hat es einen Pkw-ähnlichen Wendekreis von nur 12,6 m. Damit kommt man bei der Böschungspflege überall durch.
Am flexiblen Ausleger arbeitet ein hydraulisch betriebener Mähkopf mit vier innovativen Bauteilen:
Forschungsprojekt für biodiversitätsschonende Mähtechniken
Die Kombination vom Mähkopf mit Mähbalken und Unimog ist nicht das erste Projekt dieser Art. In den vergangenen Jahren kamen einige Mäher für die Böschungspflege auf den Markt, welche die Biodiversität schonen sollen. Zur Wirksamkeit dieser Maschinen gibt es aber kaum belastbare Daten.
Deshalb haben die Strassenbehörden der deutschsprachigen Länder ein Forschungsprojekt zu biodiversitätsschonenden Mähern lanciert:
● in Deutschland die Bundesanstalt für Strassenwesen BAST
● in Österreich die Autobahnen- und Schnellstrassen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ASFINAG, das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie BMK
● in der Schweiz das Bundesamt für Strassen ASTRA
Durchgeführt wird das Forschungsprojekt von der Agentur Nateco in Gelterkinden (BL) gemeinsam mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW.
Unterstützt werden die Forscher von einer Begleitgruppe mit Vertretern von Behörden und Betrieben der drei Länder. Die Nationalstrassen Nordwestschweiz NSNW und der Kantonsstrassenunterhalt des Kantons Aargau stellen Versuchsflächen, Mähmaschinen und Personal für die Versuche zur Verfügung.
Das Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer standardisierte Test-Methode zur Prüfung von Mähmaschinen auf ihre Auswirkungen auf die tierische und pflanzliche Biodiversität. Mit dieser Methode sollen die existierenden Mäher getestet werden. Die daraus erhaltenen Impulse sollen für die Weiterentwicklung der Maschinen an die Hersteller weitergegeben werden. Erste Ergebnisse soll es 2026 geben.
In der Schweiz gibt es zirka 700 Lohnunternehmer, von denen 400 im Verband der Lohnunternehmer Schweiz organisiert sind. Das sind 1,5 % der 48’000 Landwirtschaftsbetriebe.
Dieser Anteil ist gleich hoch wie in Deutschland mit 4’000 Lohnunternehmern bei 260’000 Landwirtschaftsbetrieben, aber dreimal höher als in Österreich mit 700 Lohnunternehmern bei 155’000 Landwirtschaftsbetrieben. Der Grund dafür ist, dass es in Österreich nur noch 42 % Vollerwerbsbetriebe gibt. (Die Zahlen über Lohnunternehmer sind Schätzungen von Branchenkennern aus den deutschsprachigen Ländern.)
Lohnunternehmer arbeiten mit teuren Spezialgeräten und Fahrzeugen, die sehr kapitalintensiv sind. Eine solche Fahrzeugflotte muss ausgelastet werden. Eine Möglichkeit dazu sind die Böschungspflege und der Strassenunterhalt generell.
Diese ursprünglich von kommunalen und regionalen Behörden wahrgenommenen Aufgaben sind für Lohnunternehmen zu einem wichtigen neuen Standbein geworden. Branchenkenner schätzen, dass ein Drittel der Schweizer Lohnunternehmer auch im Strassenunterhalt tätig ist.
Für diese Spezialarbeiten müssen sie den immer höher werdenden Anforderungen von Behörden, Gesetzen und der Gesellschaft folgen. Die Lohnunternehmer stehen dabei unter dem hohen Kostendruck der Strassenunterhalts-Betriebe. Sie müssen Effizienz, Arbeitssicherheit und Biodiversität unter einen Hut bringen.
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